„Der Fall Courage“ begann mit folgender Idee: Zwei Agenten eines Geheimdienstes lesen das Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht als einen Fall ihrer Akten. Ohne große theatrale Gesten und in einem drögen Setting, der das Stück und dessen Inhalte eben nicht als große und bewegendes Ereignis präsentiert, sondern bereits als Text und in dessen Betrachtung analysiert. Brechttheater nach unserer freien Interpretation und das – so sagten wir uns am Anfang – ohne Kompromisse, die von dieser Ursprünglichen Idee ablenken sollten.
Die ersten Kompromisse wurden schnell gemacht.
Zuerst einmal in den ersten zwei Jahren, in denen aus unserem Konzept heraus sich langsam ein Skript entwickelte. Dafür musste man herausfinden, was für Themen man selbst in Brechts Buch findet, welche man selbst beleuchten will und wo sich beides überschneidet. Wie weit in die Gegenwart will man mit seiner Anti-Kriegs-Botschaft gehen? Wie kann ein Stück von Brecht über den dreißigjährigen Krieg in einem Geheimdienst überhaupt zeitlich verortet werden? Sollte es das? Und die größten Fragen: Wollen wir wirklich das gesamte Buch lesen und dürfte das Stück doch noch einen Höhepunkt haben?
Die zweite große Hürde war die der Verlagserlaubnis. Gerade mit einem stark abgeänderten Skript befindet man sich sehr schnell in einer Grauzone zwischen der Möglichkeit eines eigenständigen Texts und der Forderung des Verlags, bei der Benötigung einer Genehmigung noch nahe genug an dem Text zu sein. Wir hatten beschlossen uns darüber bis zum Fertigstellen des Skripts keine Gedanken darüber zu machen: Entweder wird das Stück genommen, abgelehnt oder als eigenständiger Text akzeptiert. Nachdem wir den Ratschlag bekommen hatten, möglichst offen und mit vielen Informationen über das Stück an den Verlag heranzutreten, haben wir unser Skript gemeinsam mit einem Pitch an den Verlag gesendet und relativ schnell dessen Einverständnis erhalten.
Drittens kamen mit den Proben dann auch die Realität einer Aufführung zum Vorschein, in der unser inzwischen arg verändertes Konzept sich vor den eigenen Augen – und später auch denen des Publikums – durchsetzen musste. Dabei konnten wir auf unsere Schauspielenden bauen, die nun ihre eigenen Figuren erschufen und danach zum Leben erweckten. Sätze wurden gekürzt und uminterpretiert, Ideen verwebten sich, Covid kam wie immer in die Quere und Improvisationen begeistert angenommen. Ein kreatives Chaos war entstanden, aus dem alle gemeinsam das Stück Durchlauf für Durchlauf herauskramten und jeder immer wieder einzelne Details fand und mitnahm.
Letzten Endes hat man das Stück immer wieder ein kleines Stück aus der Hand genommen. Unser anfänglicher Beschluss und dessen dankbares Scheitern zeigte uns, wie man einen Kurs halten kann, indem man bestimmte Ideen und Vorstellungen loslässt, wenn man genau weiß, warum man es gerade tut und mit dem Ergebnis zufrieden bleibt. So war es eine Freude jeden einzelnen Kompromiss gemeinsam zu finden und auf die Weise eine Idee vor unseren Augen auf die Bühne zu bringen.
“Der Fall Courage” war ein Kalliope-Nebenprojekt, das am 17. und 19. August unter der Leitung von Phi Koutrakos und Jonas Brandt aufgeführt wurde. Das Bild ist von Ann-Christin Dinser.